Was heißt ästhetische Erfahrung? Wie hat sie sich in der Geschichte der Künste manifestiert? Welches Interesse kann sie angesichts der gegenwärtigen Situation der Kunst für uns gewinnen? Das sind die zentralen Fragen dieses epochalen Buches und Klassikers der Rezeptionsästhetik. Der erste Teil des Buches begründet die These, daß sich ästhetische Erfahrung in drei Grundfunktionen – der Poiesis, der Aisthesis und der Katharsis – phänomenologisch beschreiben und historisch erfassen läßt. Der zweite Teil skizziert eine Funktionsgeschichte von Frage und Antwort. Der dritte Teil schließlich setzt mit einer Problemgeschichte des Horizontbegriffs und des dialogischen Verstehens ein und erläutert die Paradigmen der Vermittlung literarischer und lebensweltlicher Horizonte.
Die guten 900 Seiten inhaltlich detailliert zu rezensieren, ist hier nicht möglich, drum will ich das Wesentliche zusammenfassen:
Der Titel antizipiert in Jaußens vorliegendem Werk (Konstanzer Schule) die inhaltlichen Themen: ästhetische Erfahrung und literarische Hermeneutik. Im 1. Teil wird daher ganz zentral das Feld der ästhetischen Erfahrung vermessen, wobei hier drei elementare Begriffe inauguriert werden: Poiesis (Genuss der Hervorbringung), Katharsis (Genuss der ausgelösten Affekte und ihrer Wirkung) und Aisthesis (Genuss des erkennenden Sehens und sehenden Wiedererkennens). (Letzteres scheint mir bei Proust in die Poisis überführt worden zu sein.) Ferner führt uns Jauß in seine Theorie des literarischen Helden als Funktion der ästhetischen Identifikation ein und endet den Abschnitt mit der kommunikativen Funktion des Fiktiven (unter Abgrenzung des Realen und Imaginären). Im 2. Teil wird es sehr speziell, denn durch Studien zur Hermeneutik von Frage und Antwort ("Fragen als Anfang des Verstehens") muss Hermeneutik in der Literatur nicht nur von anderen hermeneutischen Gebieten (z. B. Rechtslehre) abgegrenzt werden, sondern auch in eigener Weise definiert; so arbeitet Jauß diese komplexe Thematik - wie ich es verstanden habe - anhand des Mythos, der Religion und der Aufklärung auf, setzt sich auch mit dem Begriff des Dialogs vehement auseinander (Diderot) und will eigentlich bzw. wesentlich die hermeneutische Praxis anhand der Momente: Verstehen, Auslegen und Anwenden vergegenwärtigen. Im 3. Teil wird inspesondere das Verstehen und Auslegen des poetischen Textes vor dem Hintergrund des Horizontwandels vertikalisiert (vertieft), d.h. die hermeneutischen Möglichkeiten des Textes werden anhand der Bedingungen von Erwartung und Erfahrung zusammengeführt (problematisch ist beispielsweise das Verhältnis eines Textes aus der Vergangenheit im Dialog mit dem Geist der Gegenwart).
Nachteilig scheint mir die Komplexität des Buches, die den systematischen Überblick mitunter erschwert. Auch sind die Titel zu "poetisch", ein Interessierter könnte somit den Faden verlieren und sich schnell wieder abwenden. Vorteilhaft ist, dass Jauß hier einen substanzstarken Status quo des Forschungskörpers vermittelt, den jeder literaturtheoretisch Begeisterte zur Kenntis nehmen sollte. Da Jauß die deutsche mit der französischen Literatur vergleicht, um seine Theorien zu verifizieren, ergibt sich notwendig auch eine "dialogische" Abstraktion zwischen Hermeneutik (die ja typisch deutsch ist, z.B. Schelling, Gadamer etc.) und (franz.) Strukturalismus (Riffaterre, Kristava etc.), wobei dieser Brückenschlag m. E. nach für das Forcieren der literarischen Hermeneutik unabdingbar ist!
Zuguterletzt haben mich seine Analysen mitunter tief beeindruckt, allein zu nennen sind hier die Kritik an Adornos Ne-gativer Ästhetik, Goethes und Valérys "Faust", aber auch das Verhältnis von Rousseaus "Nouvelle Héloise" und Goethes "Die Leiden des jungen Werther"; natürlich auch die mannigfachen Forschungsergebnisse und die Zugrundelegung vieler namhafter Wissenschaftler (wie Bachtin, Benjamin, Blumenberg, Iser, Plessner, Schmidt etc.). Eine sehr zu empfehlende Ausgabe des 1997 verschiedenen Romanisten und Literaturwissenschaftlers: H. R. Jauß.
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